Bioenergetische Übungen

Bioenergetische Übungen unterstützen uns dabei, alte „festsitzende“ Spannungs-

muster im Körper zu lösen, uns bewusster mit unseren Körperwahrnehmungen zu verbinden und unsere Lebensenergie (Bioenergie) frei fließen zu lassen.

 

Entstanden sind die bioenergetischen Übungen als Teil der Bioenergetik – einer Lehre nach Alexander Lowen, der ein Schüler von Wilhelm Reich, einem der wesentlichen Begründer der Körperpsychotherapie, war.

 

Die verschiedenen Formen der bioenergetischen Übungen haben das Ziel, dass Gefühle wie

Wut, Angst, Trauer, Scham, Freude etc., die mit körperlichen Verspannungen („Muskelpanzer“) unterdrückt werden, wieder in Fluss kommen können und sich so die körperlich-seelischen Blockaden auflösen.

 

Stand in den Anfangsjahren der bioenergetischen Übungen noch die Katharsis (das Ausleben) im Vordergrund, entwickelten sich die Übungen zu einer prozessorientierten Form, bei der es heute mehr um das Beleben geht. So können während und nach körperpsychotherapeutischen Übungen Qualitäten von Körperempfindungen wie Strömen, Pulsieren und Vibrieren vermehrt wahrge-

nommen und als Ausdruck der Lebenskraft erfahrbar werden.

 

 

Die Angst sitzt mir im Nacken

 

Reich und Lowen stellten unter anderem fest, dass der Fluss der Lebensenergie blockiert wird, wenn der Mensch sich aufgrund schmerzlicher und ängstigender Gefühle und Erfahrungen zurückzieht, um sich zu schützen.

 

So geht der bioenergetische Ansatz davon aus, dass der Prozess der Verdrängung ein körperlicher Prozess der Unterdrückung von Gefühlen ist. Dies kann geschehen, indem der Mensch beispielsweise die Atmung einschränkt, sich anspannt und muskulär verhärtet. Vorgänge, um Gefühle und deren Ausdruck zurückzuhalten, laufen oft unbewusst und reflexartig ab. Meist haben wir diese Mechanismen schon in der Kindheit gelernt, wenn bestimmte Gefühle von unserem sozialen Umfeld nicht erwünscht waren. So unterdrückt das kleine Kind Impulse zu weinen, zu schreien oder zu wüten. Es bringt damit den Ausdruck der beängstigenden Gefühle unter Kontrolle und muss sie im Weiteren auch nicht mehr fühlen.

 

Die Erstarrung im Körper (Muskelpanzerung) zeigt also nicht den Ort, wohin verdrängt wird, sondern ist die Art und Weise, wie verdrängt wird. Diese Verdrängungsmechanismen führen mit der Zeit zu einer flachen Atmung, eingeschränkter Beweglichkeit und mangelnder Lebendigkeit

im Ausdruck. Ist der freie Fluss der Gefühle blockiert, ist der Kreislauf der sich gegenseitig beeinflussenden körperlichen und psychischen Energien auch eingeschränkt.

 

Als Kind haben wir diese Überlebenstechniken entwickelt, um in gegebenen äußeren Situationen zu überleben. Verhaltensmuster, die in der Kindheit sinnvoll waren, schränken jedoch den freien Lebensfluss in seiner Entfaltung, Verwirklichung und Erfüllung ein. Diese Blockierungen betreffen sowohl körperliche als auch geistig-emotionale Aspekte.

Im erwachsenen Leben kann das zu zahlreichen Problemen führen, wie einer depressiven, resignierenden Grundstimmung, Angstzuständen, sexuellen Problemen, Beziehungsstörungen,

der Unfähigkeit eigene Ziele mit Nachdruck zu verfolgen usw.

 

 

Vom Überleben zum Leben

 

Bioenergetische Übungen dienen dazu, Blockaden der Lebensenergie zu lösen und mehr in die eigene Lebendigkeit zu kommen, mehr Spontanietät zu erlangen und den eigenen Impulsen frei

zu folgen. Diese speziellen Übungen setzen sich aus der Arbeit mit der Selbstaufmerksamkeit, Atemübungen, Erdungsübungen, Bewegungs- und Ausdrucksübungen sowie Kontaktübungen zusammen.

 

Arbeit mit der Selbstaufmerksamkeit

Diese Übungen helfen uns dabei, unsere Wahrnehmung auf Körperempfindungen zu lenken und uns chronischer Verspannungen und fixierter Fehlhaltungen bewusst zu werden. So dienen diese Interventionen der Selbstwahrnehmung und dem Zweck, durch erhöhte Körpersensibilität in inneres Erleben vorzudringen. Sie unterstützen uns also im wahrsten Sinne des Wortes dabei, zu uns zu kommen, das heißt, einen Zugang zu Gefühlen zu bekommen, die ohnehin schon da sind.

 

Atemübungen

Ein Anhalten der Atmung bewirkt eine Einschränkung des Fühlens und dient somit dazu, negative Gefühlsempfindungen zu lindern oder zu unterdrücken. Bereits bei Kindern kann man beobachten, dass sie ihre Atmung zurückhalten und nur noch oberflächlich atmen, wenn sie Schmerzen empfinden. Körperlich wird die Atmung durch Verspannungen im Zwerchfell, in der Atemmuskulatur des Thorax sowie im Schultergürtel eingeschränkt.

 

Durch Körperübungen können chronische Verspannungen der Atemmuskulatur gelockert werden. Die Atmung kann dadurch tiefer und freier werden, wodurch das Gefühlsleben intensiviert und die Sensibilität und die Körperenergie gesteigert werden.

 

Erdungsübungen

Mit der Zunahme der Gefühlsintensität und der Energetisierung des Körpers kommt jedoch ein weiterer wichtiger Bereich der bioenergetischen Übungen, die „Groundingübung“ zum Tragen. „Grounding“ bedeutet „Erdung“, im Sinne von „gut mit der Erde in Kontakt sein“, und schließt die Bereiche „Verwurzelt-Sein“ und „Realitätsbezug“ mit ein. Mit spezifischen Übungen, zum Beispiel mit langsamem Biegen und Strecken eines Knies im Stehen, wird der Klient eingeladen, seine Gelenke, Muskeln, Knochen und seine Kontaktpunkte mit dem Boden zu spüren. Der erlebte Körper vermittelt somit das Gefühl „bei sich zu Hause zu sein“. So können wir lernen, was es heißt, auf den eigenen Beinen zu stehen und uns selbst zu vertreten.

 

In der bioenergetischen Arbeit unterstützen uns Erdungsübungen dabei, die Vermehrung der Lebensenergie wirklich auch „durchstehen“, „bestehen“ und „verstehen“ zu können. Erdungsübungen steigern das Gefühl der Eigenständigkeit und Selbstständigkeit, Erden als Gegenpol zur Angst.

 

Bewegungs- und Ausdrucksübungen

Bewegungs- und Ausdrucksübungen unterstützen uns, festgehaltene Emotionen wiederzubeleben und abgewehrte Gefühle „auszuprobieren“. Wenn wir bisher zurückgehaltene Gefühle wie Angst oder Wut zulassen und ausdrücken, lernen wir, spontan auftretende Gefühle und Bedürfnisse besser wahrzunehmen und auszudrücken. Einige Übungen, im Speziellen Dehnübungen, richten sich gezielt gegen muskuläre Verhärtungen und ermöglichen so eine langsame Aufweichung, ein Schmelzen, dieser Muskelbereiche.

 

Kontaktübungen

Körperübungen in Kontakt mit anderen GruppenteilnehmerInnen können helfen, eigene Verhal-

tensmuster zu erkennen und Neues zu versuchen. Durch die Interaktion in der Gruppe werden „eingefleischte“ Beziehungsmuster auch auf körperlicher Ebene sichtbar und erlebbar – alternative, befriedigendere Formen des Kontaktes können erprobt werden.

 

 

Wiedererlangen der Lebendigkeit

 

Die bei den bioenergetischen Übungen gemachten Erfahrungen werden gemeinsam im Gespräch erörtert und mitunter mit früheren Erlebnissen und seelisch-geistigen „Haltungen“ in Zusammen-

hang gebracht.

 

Vermehrt wird versucht, gewohnte und erlernte Körperhaltungs-, Gefühls-, und Verhaltensmuster wahrzunehmen und als solche zu erkennen. Die in den Übungen am „eigenen Leib erfahrenen“ korrigierenden Lernerlebnisse können den Prozess bestärken, in einer Situation altersent-

sprechend, adäquat, spontan und frei zu reagieren. Das weiter entwickelte Körperbewusstsein unterstützt uns über Körpergefühle (z.B. „aus dem Bauch heraus“) dabei, im Alltag angemessen

zu handeln.

 

Auf diesem Weg kann sich mehr und mehr ein tieferes Bewusstsein für die eigene Persönlichkeit entwickeln, und die Kraft, die früher in den Muskelverspannungen gebunden war, steht wieder zur freieren Lebensgestaltung zur Verfügung.